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SIZILIEN: Die Mafia-Aufdecker

Text Cecilia BUTINICecilia Butini portraitFotos Ksenia LESKsenia Les portraitÜbersutzung Irina BRÜNING

Im Jahr 2017 wird die Journalistin Daphne Caruana Galizia in der Nähe von Bidnija, Malta, von einer Bombe getötet. Nur ein Jahr später stirbt in der Slowakei Ján Kuciak durch einen Kopfschuss. In Bulgarien wird Viktoria Marinowa erst vergewaltigt und dann erwürgt. Ist Europa ein gefährliches Pflaster für Journalisten geworden? Einige Regionen Italiens sind es immer gewesen.

Seit das Schicksal Roberto Savianos auch im Ausland bekannt wurde, ist die prekäre Lage der Pressefreiheit in Italien wieder Gesprächsthema. Aber nicht bloß Saviano, der nun weithin bekannten Schriftsteller und Journalist aus Kampanien, steht seit 2006 unter Polizeischutz, sondern auch 200 seiner Kollegen in Italien. Wegen ihrer Arbeit bedroht werden jedoch noch viele mehr. Und bei weitem nicht alle schaffen es auf die Titelseiten der Zeitungen.

Laut dem jährlichen Bericht des Europarats zur Pressefreiheit auf unserem Kontinent liegt Italien unter den 32 Mitgliedsstaaten gleichauf mit Russland: Es gehört zu den Ländern, in denen die meisten Fälle von Straflosigkeit zu verzeichnen sind, was Gewalt oder Drohungen gegen Berichterstatter betrifft. Da die Mafia in ganz Italien tief verwurzelt ist, münden Untersuchungen häufig in eine Abwärtsspirale aus Gegenanzeigen, Einschüchterungsversuchen und schließlich Androhung von körperlicher Gewalt.

In Sizilien, der Region, in der italienweit die meisten Journalisten umgebracht werden, ist das Schreiben über Korruption und organisiertes Verbrechen jeden Tag von Neuem eine Herausforderung – vor allem für ortsansässige und freiberuflich tätige Journalisten.

Salvo Palazzolo: Die Mafia ist kein sizilianisches Problem 

Ein regnerischer Dienstagmorgen in Palermo. Salvo Palazzolo, 49 Jahre alt, fährt die Hügel von Passo di Rigano hinauf, die knapp außerhalb der Stadt liegen und dafür bekannt sind, dass die Mafia-Familie Inzerillo – über die Palazzolo seit Jahren berichtet – hier das Sagen hat. Auf dem Weg hinaus aus der Hauptstadt der Insel weichen die prächtigen Gebäude der Innenstadt im orientalischen Stil zunehmend Mehrfamilienhäusern und behelfsmäßigen Unterkünften inmitten von weiten Grünflächen. Palazzolo arbeitet für die Zeitung La Repubblica.

Seine Karriere begann 1992, als zwei Bomben die beiden Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino töteten, Schlüsselfiguren im Kampf gegen die Unterwanderung von Politik und öffentlichen Einrichtungen durch die Mafia – nicht nur in Sizilien. Palazzolo ist städtischer Gerichtsreporter und als solcher versucht er, 27 Jahre nach dem Mord an Falcone und Borsellino, tagtäglich die Verbrechen und Geheimnisse öffentlich zu machen, unter denen Sizilien nach wie vor leidet.

Wenngleich die öffentlichen Blutbäder, die die Mafia anrichtete der Vergangenheit angehören, ist sie doch nicht verschwunden – im Gegenteil: Nur die Methoden der kriminellen Organisation haben sich geändert. Der sizilianische Reporter und seine Kollegen müssen das neue internationale Ausmaß des Phänomens berücksichtigen, welches zum Beispiel in den Verbindungen zu ausländischen Drogenkartellen sichtbar wird.  

Palazzolo, ein großer, entschlossener Mann mit scharfem Blick, der selbst dann noch lächelt, wenn er von seiner schwersten Zeit spricht. Im Sommer 2019 geht aus Tonaufzeichnungen der Polizei hervor, dass der Inzerillo-Clan einen Anschlag auf den Journalisten erwogen hatte. Was hatte Palazzolo getan? Schlicht ein im Besitz der Familie befindliches Geschäft in Passo di Rigano aufgesucht und Fragen gestellt.

Einige Monate vor diesem Ereignis hatte ein Priester, der das Begräbnis eines dem Inzerillo-Clan nahestehenden Kriminellen zelebriert hatte, zu Palazzolo gesagt, dass er früher oder später für seine Neugier bezahlen würde. Und nur ein Jahr zuvor war bei der Redaktion seiner Zeitung ein Drohbrief eingegangen, welcher einen Stopp der Untersuchungen gefordert hatte. Heute steht der Redakteur von La Repubblica unter Schutz und wird jeden Tag von zu Hause ins Büro und wieder zurück begleitet.

Manchmal frage ich mich, ob meine Arbeit nicht zu gefährlich ist, aber das sind wir unseren Kollegen, die gestorben sind, schuldig, sagt Palazzolo und meint damit die acht sizilianischen Kollegen, die in den letzten 50 Jahre von der Mafia ermordet wurden, einfach weil sie ihre Arbeit verrichteten. Palazzolo zufolge neigt sich das Reich und die Herrschaft der Cosa Nostra noch lange nicht dem Ende zu. Die Mafia ist kein sizilianisches Problem. Das organisierte Verbrechen ist eine Holding.

Leandro Salvia: Auch Sizilien und San Cipirello gehören zu Italien und zu Europa 

Leandro Salvia, 44 Jahre alt, ist der einzige Journalist in San Cipirello, einem kleinen Dorf 50 Kilometer vor Palermo. Gewellte, grau melierte Haare, ruhige Stimme – Salvia ist als freier Mitarbeiter für das Giornale di Sicilia tätig und schreibt gewöhnlich zu Hause, genau dort, wo einst sein Großvater seine Tischlerei betrieb. Wenngleich San Cipirello – eine Siedlung mit wenigen Straßen oben auf einem Hügel, wo jeder jeden kennt – nicht gerade reich an Attraktionen ist, hat der Ort doch bereits Aufsehen erregt: 2018 haben Salvias Berichte zum Ausschluss eines Mitglieds aus dem Gemeinderat und zur Auflösung des Rats wegen Unterwanderung durch die Mafia geführt.

Die Arbeit des Journalisten ist den Behörden ein derartiger Dorn im Auge, dass er im Juli des gleichen Jahres gezwungen wurde, ein Treffen zu verlassen, das die lokale Verwaltung selbst organisiert hatte. Salvia sagt, er habe sich in diesem Moment wie ausgestoßen aus seiner eigenen Gemeinschaft gefühlt, die häufig nicht versteht, wie wichtig eine freie Presse ist. 

Ich weiß, dass ich mich geographisch gesehen am Rand Europas befinde, aber auch Sizilien und San Cipirello gehören zu Italien und zu Europa. Und wenn in San Cipirello gegen das Gesetz verstoßen wird, geht es gegen das Gesetz des italienischen Staats, sagt Salvia und fährt fort: Es ist eine Beleidigung des italienischen Staats und es ist richtig, wenn dieser eingreift. Aber man braucht auch Journalisten, die darüber berichten.

Neben Einschüchterungen durch Lokalpolitiker hatte Salvia auch unter Racheakten von Angestellten im öffentlichen Sektor zu leiden: So stieß er zum Beispiel bei der Beerdigung seines Vaters auf Hindernisse. Er war darüber nicht erstaunt, erzählt er: Wenn du hier arbeitest, rechnest du mit Vergeltungsaktionen derer, über die du schreibst. Salvias Haus wird nun zum Teil überwacht, um seine Sicherheit und die seiner Familie zu garantieren. Ich gewinne wenig dabei, oft eher das Gegenteil. Ich glaube aber, dass es auch um den Bürgersinn geht, den jeder von uns haben sollte.

Fabiola Foti: Soll ich so tun, als sei alles in Ordnung? 

Glaubt man Fabiola Foti, Chefredakteurin der lokalen Onlinezeitung L’Urlo (Der Schrei), sind in Catania zwei Dinge wichtig: der Fußball und das Fest der Heiligen Agatha (bei dieser Gelegenheit wird eine große Statue der Heiligen von Menschen durch die Altstadt getragen). Foti, 37 Jahre alt, berichtet seit 20 Jahren von der Ostküste Siziliens. Als Tochter eines Richters ist sie seit ihrer Jugend an Einschüchterungen gewöhnt. Dennoch hat sie immer daran geglaubt, dass sich dagegen etwas tun lässt.

So hat sie in den letzten Jahren unbequeme Wahrheiten über den Einfluss der Mafia in der Stadt ans Licht gebracht. Im Februar 2019 – der Umzug zu Ehren der Heiligen Agatha war in vollem Gange – wies Foti nach, wie einer der lokalen Kriminellen auf regelwidrige Weise Zugang zu einem Treffen mit den Organisatoren des Umzugs erlangt hatte. Wenige Tage später fand die Journalistin auf der Motorhaube ihres Autos den abgeschnittenen Kopf eines Lamms: eine makabre Geste, die ihr zu verstehen geben sollte, dass man ihre Arbeit nicht gern sah. Hinzu kamen zahlreiche Hassnachrichten über das Internet, von denen sie einige bei den zuständigen Behörden angezeigt hat. Für kurze Zeit bekam Foti Polizeischutz.

Doch die alleinerziehende Mutter zweier Kinder hat nicht locker gelassen. Das Erste, was ich gemacht habe, war: einen Artikel schreiben. Ich habe die Polizei verständigt und dann einen Artikel geschrieben. Soll ich so tun, als sei alles in Ordnung? Soll ich über’s Kochen schreiben? Nein, das hier ist es, worüber ich schreibe, gibt sie entschlossen an und fügt hinzu. Gerade die EU könnte uns hier unterstützen. Sie müsste der Presse finanzielle Anreize geben und eine Taskforce schicken, die einmal ordentlich ermittelt und richtige Lösungen auf den Tisch legt. 

Giacomo di Girolamo: Peppino Impastatos Opfer macht meine Arbeit möglich.

Giacomo di Girolamo, 42 Jahre alt, ist Chefredakteur und Moderator von TP24, einer kleinen Onlinezeitung und Radiostation für den Raum Marsala-Trapani. In seiner Karriere hat Di Girolamo Briefumschläge mit Schießpulver erhalten, Menschen drangen in die Redaktion ein und er wurde online von Drogendealern bedroht. Außerdem bekam er unzählige Anzeigen wegen Verleumdung (was in Italien häufig vorkommt und als Versuch betrachtet werden kann, der Presse einen Maulkorb zu verpassen).

Und dennoch: Wenn die Polizei ihn fragt, ob er Angst um sein Leben hat, antwortet Di Girolamo mit Nein. Mit Drohungen ist es wie mit Beleidigungen – man muss sie als solche empfinden, erklärt er. Durch das Opfer von Leuten wie Peppino Impastato (1978 von der Cosa Nostra getöteter Aktivist, Journalist und Radiomoderator, bewegend verfilmt in 100 Schritte) bin ich frei, alles zu sagen, was ich will, fügt er hinzu. 

„Sich hier an den äußeren Grenzen Europas zu entscheiden ein Journalist zu sein wird immer noch als seltsame Entscheidung angesehen. Man muss sich wappnen, als Person angegriffen zu werden, nicht für die Inhalte von dem was man geschrieben hat – und das kann furchtbar sein.“

Nach Meinung von Di Girolamo ist das Problem also nicht so sehr die persönliche Sicherheit, sondern vielmehr die fehlende Unterstützung, welche es Journalisten schwer macht, unabhängig zu berichten. Er ist der festen Überzeugung, dass die Europäische Union mehr tun könnte. „Journalisten müssten die Möglichkeit haben, einen guten Job zu haben, gut bezahlt zu werden, auf Datenbanken und andere Werkzeuge zugreifen zu können… Aber das passiert hier nicht.“

Paolo Borrometi: Ich denke, dass die EU viel mehr tun kann.

Ein Nachmittag im Frühling des Jahres 2014. Der damals 31-jährige Journalist Paolo Borrometi hält sich mit seinem Hund im Garten des Landhauses seiner Familie in der Nähe von Modica auf. Plötzlich tauchen zwei vermummte Männer auf, die den jungen Mann angreifen. Sie verdrehen seinen rechten Arm so weit, dass seine Schulter bricht. Dann treten sie auf ihn ein, bis er am Boden liegt. Während sie ihn treten, sagen die beiden Männer dem Journalisten, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, sonst würden sie wiederkommen.

Aber das ist noch nicht alles.

Wenige Monate nach dem Angriff überlebt die Familie Borrometi einen Brand, der an ihrer Wohnung gelegt wurde; daraufhin bekommt der Reporter Polizeischutz. Schließlich wird ihm in Rom eine Stelle als Chefredakteur der Presseagentur Agi angeboten. Borrometi nimmt an. Im Jahr 2018 finden die Richter heraus, dass die Mafia sogar plante, den Journalisten zu ermorden.

Zum Zeitpunkt des ersten Angriffs recherchierte Borrometi zum organisierten Verbrechen in der Provinz Ragusa. Von der Beeinflussung der Kommunalwahlen in Scicli durch die Mafia bis zu illegalen Verträgen beim Handel mit Tomaten hat Borrometi die Verbindungen und Verantwortlichkeiten diverser Clans berichtet, veröffentlicht auf seiner Seite laspia.it.

Darüber hinaus hat Borrometi im Laufe der Jahre in insgesamt 150 Prozessen gegen Kriminelle ausgesagt, die ihn bedroht hatten. „Wie soll man nicht in Angst leben, wenn man ständig in Prozessen Leute sieht, die einen umbringen wollen?“ fragt Borrometi. „Aber ich will micht nicht auf die Angst konzentrieren. Ich habe weitergemacht, das ist das Allerwichtigste. Meine Weigerung aufzuhören ist kein persönlicher Sieg (und sicher keiner für die Verbrecher), sondern einer für den Dienst an der Allgemeinheit.“

Borrometi stand in Kontakt mit Daphne Caruana Galizia, der maltesischen Journalistin, die 2017 Opfer eines Bombenanschlags wurde. Galizias Tod war für den sizilianischen Journalisten ein schwerer Schlag: Es tut mir sehr weh. Ich denke, dass die EU viel mehr tun könnte… Die Mafia wird immer als italienisches Thema gesehen, dabei ist sie mittlerweile in der ganzen EU, sogar rund um die Welt aktiv. Wenn einzelne Staaten es nicht schaffen, Journalisten zu schützen, muss Europa aktiv werden. 

Für das Jahr 2018 hat die Beobachtungsstelle „Ossigeno per l’informazione“ 34 Fälle von erwiesener Einschüchterung gegen Journalisten in Sizilien gemeldet.